Es war ein strahlend schöner Frühlingstag, die Sonne schien an einem wolkenlosen Himmel und die milden Temperaturen luden geradezu zu einem Picknick ein. Die Aue erschien hierfür perfekt zu sein. Es roch nach Mandelblüte und frischem Gras und die weite ebene Landschaft lies einen wundervollen Blick auf den Neckar zu. An einem so herrlichen Tag wimmelte es normalerweise von Ausflüglern. Doch heute war alles anders.
Absperrband flattert in einem großen Abschnitt rund um den Tatort und die gesamte Aue ist abgesperrt. Statt dem lieblichen Gesang der Vögel und dem leisen rauschen von Bäumen und Wasser hört man ein wildes dröhnen vieler unterschiedlicher Stimmen, unterbrochen vom Martinshorn der in einiger Entfernung abgestellter Polizeiwagen.
Da lag Sie. Und mit einem Mal schien es um Kriminalkommissar Tomm fast andachtsvoll still zu werden. Sie sieht aus wie ein Engel dachte er sich. Der Anblick der Leiche hat wirklich etwas surreales.
Ein weißes großes Laken liegt auf der Wiese, darauf eine junge Frau so in den Zwanzigern mit ausgebreiteten Armen. Sie trägt ein weites weißes langes Kleid, das fast wie ein Gewand erscheint; einfach, aber dennoch sehr anmutig. Lange blonde lockige Haare umrahmen ein blasses, engelsgleiches Gesicht. Doch der Gesichtsausdruck lässt Tomm verwundert zurück. Ihre Augen sind angstvoll aufgerissen, sie starren gruselig ins Leere, doch ihr Mund lächelt. In ihrer linken Hand hält sie einen kleinen weißen Zettel mit der Aufschrift: "MT 9".
So etwas hatte Kriminalkommissar Tomm in seiner nun 23jährigen Geschichte als Kriminalinspektor noch nie zuvor gesehen.
Doch routiniert beginnt er wie immer das Procedere.
Die nächsten beiden Nächte schlief Tomm fast gar nicht. Zum einen plagten ihn wieder diese furchtbaren Kopfschmerzen, zum anderen sah er ihr Gesicht sobald er einzuschlafen drohte. Sie winkte ihm dann zu und lächelte sanftmütig mit ihren weit aufgerissenen Augen. Ein merkwürdiges Gefühl überkam ihn. Ein Gefühl zwischen Angst und völligem Frieden.
Die Ermittlungen liefen schleppend. Kein Zeuge hatte sich bisher gemeldet. Keiner schien die Frau gesehen zu haben, keiner kannte sie, keiner vermisste sie. Kriminalkommissar Tomm schien es fast, als würde er sie kennen, aber da spielte ihm die Erinnerung wohl einen Streich, dachte er sich. Er ging noch einmal alle Beweismittel durch: das Kleid, das Laken und schließlich den Zettel. Verwundert sah er die Aufschrift. Dort stand "MT 3". War es nicht 9? fragte er sich. Solche Fehler unterliefen ihm doch sonst nicht. Er nahm eine Kopfschmerztablette und legte die spärlichen Beweise wieder beiseite. Er kam einfach nicht weiter.
Es verging eine Woche ohne Ergebnisse. Tomm hatte noch immer diese furchtbaren Kopfschmerzen, doch er hoffte heute endlich schlafen zu können, denn er war unendlich müde.
An diesem Abend schlief er sanft ein.
Nachdem Tomm's Kollege Mazek ihn nicht erreicht hatte, beschloss er direkt bei ihm zu klingeln. Es war ganz und gar nicht Tomm's Art nicht zum Dienst zu erscheinen. Mazek klingelte doch keiner öffnete. Mazek informierte seine uniformierten Kollegen, die Tomm's Tür mit Hilfe des Schlüsseldienstes öffneten.
Kriminalkommissar Tomm lag in seinem Bett, die Arme weit von sich gestreckt mit weit aufgerissenen Augen und einem lächeln auf den Lippen.
Zwei Wochen später fand die Beerdigung von Kriminalkommissar Matthias Tomm statt. Er hatte exakt 9 Tage nach der Entdeckung der jungen Frauenleiche einen tödlichen Schlaganfall erlitten.
Als Kommissar Mazek mit seinem Kollegen Weber zurück zu seinem Auto lief zeigte er ihm ein Foto auf dem zwei kleine Kinder waren, ein kleiner Junge und ein etwas älteres Mädchen.
"An wen erinnern dich diese beiden?" fragte Mazek seinen Kollegen.
"Der Junge sieht aus wie Matthias und das Mädchen könnte die frühe Version unserer Toten sein" entgegnete ihm Weber.
"Das Bild stand bei Tomm in der Wohnung. Ich habe recherchiert. Es zeigt wirklich Matthias und seine Schwester Sarah. Sarah starb wohl im Alter von 8 Jahren, doch ihre Leiche wurde erst 15 Jahre später in einem Brunnenschacht gefunden. Todesursache war eine Hirnhautentzündung. Das war vor 50 Jahren. Ist das nicht schräg?"
"Stimmt." antwortete ihm Weber. "Zumal wir noch immer nicht wissen, wer die Frauenleiche ist und sie auch an einer Hirnhautentzündung starb".